Wir träumten von Honig
Seit – schnell mal die heruntergerissenen Kalenderblätter mit dem Fuß zu einem Haufen zusammenschieben und grob durchzählen – also seit knapp vier Jahren sind der Sohn und ich jetzt im großen bunten Fußballzirkus unterwegs.
Und nun ist es also passiert. Das, wovon jeder, der sich im Jugendfußball tummelt, schon mal gehört hat.
Nein, nicht die Messerstecherei unter aufgebrachten Fußballeltern am Rande eines bedeutungslosen E-Jugend-Spiels. Und auch nicht die Hörbuchfassung der Memoiren des Typen, der hinter jeder Theke in jedem Vereinsheim ab Landesliga abwärts steht, der es fast einmal geschafft hätte, der schon auf dem Sprung in die Bundesliga war, bevor, ach das Knie… das Knie…
Das ist natürlich auch passiert. Das passiert ja jeden Tag und überall. Aber davon soll hier nicht erzählt werden.
Wir sind gescoutet worden.
Die Geschichten kennt man, man raunt sie sich am Rande der samstäglichen F-Jugend Ansetzungen zu. Vom Julian, der nach dem Turnier beim Sickingmühler SV letzte Woche vor lauter Visitenkarten gar nicht mehr grade laufen konnte.
Und ich habe, no shit, in irgendeiner WhatsApp-Konversation noch ein Foto von der Visitenkarte des BVB-Scouts. Das hat der Ömer mir irgendwann mal geschickt. Obwohl ich gar nicht danach gefragt hatte.
Nun ja. Der Sohn ist also gescoutet worden. Nicht wir. Wer würde mich auch scouten wollen. Obwohl – schon rein durch meine Körpergröße eigne ich mich beispielsweise hervorragend dafür, im Vereinsheim den Karton mit dem Instant-Kakao vom obersten Regal herunterzuholen.
Nun stellt der Uneingeweihte sich das mit dem gescoutet werden vielleicht äußerst glamourös vor. So wie den ersten Kuss. Oder Magie. Auf Einhörnern reitende Delphine blasen einem Luftschlangen aus Marzipan durch die Nebenhöhlen. Und dann ist´s doch wieder nur bei Kevin in der Kellerbar während im Hintergrund der Dirty-Dancing-Soundtrack läuft.
Es war – und ich darf das an dieser Stelle vorwegnehmen – äußerst unglamourös. Ungefähr so, wie der Unterschied zwischen einem weißen Sandstrand auf Mauritius und dem Bahnhof von Wanne-Eickel. Wo ja der Setdesigner der ersten beiden Resident-Evil-Filme aufgewachsen ist. Also, nicht auf Mauritius…
Es geschah am Rande der Vorrunde zu den Hallenstadtmeisterschaften. In einer dieser Sporthallen, in denen der Uringeruch schon eingebaut ist. Nach dem zweiten Spiel unserer Mannschaft trat ein mich altersmäßig halbierender Herr, dessen Physiognomie sich für jeglichen Bartwuchsanflug zu schade zu sein schien, unserem Trainer an die Seite und murmelte ihm etwas zu. Und weil ich mich ja immer strategisch in Hörweite jeglicher wichtiger Gespräche am Rande von Fußballplätzen aufhalte, aber eben auch nie nah genug um dann auch zu verstehen, was denn da gesprochen wird, schwirrten die Wortfetzen “neun” und “elf” an meinen Hörnerv, kitzelten an ihm herum und lenkten ihn natürlich dermaßen ab, dass der Rest des Gesprächs für mich zunächst im Reich der Mysterien verblieb. Der scheue Spion. Ich so.
Die Nummer “9” ist die Rückennummer des Sohns.
Das Ganze löste sich dann aber relativ schnell auf, als unser Trainer – und an dieser Stelle ein Einschub:
So, genau so macht man das. Der Scout oder Trainer des interessierten Vereins fragt den Trainer, in dessen Mannschaft das Objekt der Begierde spielt, ob er die Eltern des Spielers ansprechen darf. Dies wird in einem späteren Beitrag nähere Erläuterung erfahren, aber: genau so.
Das Ganze löste sich also relativ schnell auf, als unser Trainer die Worte “kannst ihn gerne selber fragen” sprach und den Jüngling in meine Richtung verwies. Er wäre der Trainer der Jugendmannschaft eines Teams, dass ein Huftier als Maskottchen hat, welches in Dänemark (zumindest derzeit) nicht an Löwen verfüttert wird und kein Pferd ist*. Der Sohn wäre ihm aufgefallen und er würde uns gerne mal zum Probetraining einladen.
Dies ist nun die Stelle, an der handelsübliche Fußballväter und Eishockeymütter hochdrehen, ausflippen, bei 120 den Rückwärtsgang einlegen und ganz generell dazu neigen, sich nackt auf die Mittelspur der nächst gelegenen Autobahn zu legen.
Wir haben mit unserem Dorfverein unlängst gegen einen anderen Dorfverein gespielt. Wir besiegten sie zweistellig und nach dem Spiel stand ich mit einem Vater der gegnerischen Mannschaft zusammen. Sie hätten ja unlängst ihren Torwart an einen benachbarten Drittligisten verloren. “Ach, warte mal ab. Der ist in einem Jahr wieder da”, sagte ich ihm und: “Bei denen wechseln die zum Sommer auch wieder vier bis fünf Spieler aus”. “Ja, weil meiner da auf der Liste steht”. Das war seine Antwort. Weil seiner da auf der Liste steht…
Genau darum fiel meine Antwort an den jugendlichen Huftierdompteur so aus, wie sie ausfiel: “Danke für das Angebot. Ich werde mit meinem Sohn darüber sprechen, aber ich sage dir direkt: eher nicht”.
Ich glaube, so ganz hat er das nicht verstanden. Weil die übliche Reaktion komplette Fußballvaterekstase ist. Denn, klar, der Kurze soll ja nicht Spaß am Fußball haben, der soll gefälligst der nächste CR7 sein.
Gerade im unteren Jugendbereich, gerade bei den größeren Vereinen ist Kontinuität oft ein Fremdwort. Da werden jedes Jahr Spieler geholt, Spieler rausgeschmissen. Wir waren lange genug in so einem Verein. Gar nicht mal dritte Liga, noch darunter, lebte er vom Abglanz der Vergangenheit, in der ehemaligen Modehauptvorstadt Deutschlands, deren Restberühmtheit darin besteht, dass die Bratwurst im Stadion recht gut schmeckt. Nach zwei Jahren, waren von der Mannschaft, mit der wir gestartet waren, noch ganze vier Kinder übrig. Zehn sind in der Zeit gegangen. Die einzigen, die das freiwillig gemacht haben, waren wir.
Das war der eine Grund für die Absage. Weil wir zwei Jahre erlebt haben, wie das ist im sogenannten Leistungsfußball. Ob wir ohne dieses Erfahrung abgesagt hätten? Das kann ich, ganz ehrlich, nicht sagen.
Der zweite Grund, und das ist auch der Grund, warum bei unserer jetzigen Mannschaft Abwerbeversuche keine Chance haben: Es ist ein Team. Mit einem tollen Trainergespann, das eine Mannschaft formt, ihnen was beibringt, sie weiter bringt und nicht ständig neue Spieler zukauft, fertige Spieler sucht und dann die jeweils schlechteren aussortiert. Diese Mannschaft ist gewachsen, seit drei Jahren zusammen. Vor 15 Monaten noch bekamen die zweistellige Ledereinläufe; mittlerweile besiegen die durchaus schon mal die Jugendmannschaft des Herzensvereins meines ehemaligen Tennislehrers*.
So geht Fußball, so geht Trainer. Das musste ich aber auch erst lernen und dadurch haben wir ein Jahr verloren. Ein Jahr, in dem uns Fußball keinen Spaß gemacht hat. Und so ein Jahr möchten wir vorerst nicht noch einmal erleben.
Daher haben wir abgesagt.
Ob ich trotzdem stolz bin? Ich bin stolz wie Hölle.
Aber um mich geht es ja tatsächlich nicht. Ich bin in dem ganze Spiel scheißegal. Ich kann mir meine Bestätigung bei Quizduell holen, oder halt das größte Croissant der Welt backen.
Also nochmal: ob der Sohn stolz ist? Der ist stolz wie Hölle.
Und für ihn war das unglaublich wichtig. Beim Bratwurstverein* bekam er vom Trainer keinerlei Anerkennung, war verunsichert und hatte einfach den Spaß am Fußball spielen verloren.
“Papa, bin ich zu schlecht?” Das ist eine Frage, die du von deinem Kind niemals, niemals hören möchtest.
Wenn er jetzt hört, dass gleich zwei Vereine – der Scout vom ewigen Zweiten aus Plastik-City* war auch interessiert – ihn toll finden…
So schlecht kann er ja dann nicht sein.
“Hallo F. Vielen Dank noch mal für die Einladung zum Probetraining. Wir haben das besprochen und uns entschieden, bei unserem Verein zu bleiben, da wir uns dort sehr wohl fühlen. Vielleicht sieht man sich ja in ein paar Jahren noch einmal wieder.
PS: Darf ich fragen, was dich bewogen hat uns anzusprechen? Reine Neugier meinerseits…”
“Kein Problem. Dein Sohn ist ein technisch Guter für sein Alter, hat die Übersicht, ist schnell… das braucht man alles, um erfolgreich Fußball zuspielen… außerdem ist er Linksfuß und ich suche momentan noch Linksfüßen.
Der Scout von Plastik-City*, der am Sonntag da war, fand ihn auch sehr gut!”
* Name geändert. Richtiger Name der Redaktion bekannt.