Des Satans jüngste Tochter

by mykx

ankst

Lasst uns doch mal über Angst sprechen.

Also jetzt nicht diese große, die existentielle Angst, die über uns allen herumwabert und uns in lauschigen Nächten besucht. Tod, Armut und diese ständig nagende Furcht niemals alle Folgen, sämtlicher Stargate Ableger auf DVD zu besitzen.

Soll ja auch nicht zu grüblerisch werden hier.

Reden wir über Angst im Fußball und da springt ja sicherlich sogleich ein gewitzter Wortakrobat hinter der Eckfahne hervor, der die Mär vom Angstgegner ins Spiel zu bringen gedenkt. Aber, mal ganz ehrlich, in unserer mittlerweile vierjährigen Zugehörigkeit zum Juniorenfußball-Wanderzirkus ist uns eigentlich nie ein Gegner begegnete, der der zusätzlichen Überhöhung durch die Komponente “Angst” bedurft hätte.

Es gibt sicherlich Rivalen, wie dieser Verein aus Mülheim, den wir irgendwie noch nie besiegen konnten (und von dem man berichtet, dass der Trainer die Eltern immer erst fragen muss, ob an einem Termin ein Golf- oder Hockeyturnier ist, bevor er da ein Turnier oder Freundschaftsspiel annehmen kann).

Es gibt auch unangenehme Gegner. Oder schlicht doofe Gegner, wo der Trainer vor dem Spiel rumfaselt, dass er sich die Spieler ja aussuchen könne und er die schlechten dann halt wegschickt – und man seiner Mannschaft dann vor der sich füllende Kulisse eines Regionalliga-Stadions ein in seinen Augen inakzeptables Unentschieden abringt.

Aber Angst? Hmm…

Angst hatten wir in unserer letzten Saison beim alten Verein. Angst hatten wir eigentlich alle, Vater, Mutter und Sohn. Angst hatten wir alle und immer. Auf der Fahrt zum Training, weil wir ja zu spät kommen könnten (was Strafe kostet). Im Training, im Spiel, weil jeder Fehler direkt zu Kritik führte und das in einer Art und Weise, der man das Keyword “kindgerecht” guten Gewissens verweigern würde. Angst davor, ein Training, ein Spiel zu verpassen, weil man dann beim nächsten Spiel aus der Startaufstellung fliegen könnte. Angst davor, dass der Sohn im Spiel nicht “performt”, weil es, ausser für des Trainers Liebling, keine zweite Chance gibt. Angst vor jedem neuen Kind im Training, weil es ein potentieller Konkurrent ist. Und am Ende auch Angst wem man überhaupt noch etwas erzählen kann, weil jedes falsche Wort hintenrum, mit der Einschlagskraft von mindestens drei mal Hiroshima, wieder auf einen zurückfallen konnte. In unserer kleinen Welt…

Das ging so weit, dass der Trainer einem Elternpaar, welches noch Kontakt zu einer ehemals unserer Mannschaft angehörenden Dame und ihrem Sohn pflegte, nahe legte, diesen Kontakt umgehend abzubrechen. Weil ihr Sohn sonst ”die Konsequenzen spüren” würde.

So weit ging das…

In unserer kleinen Welt.

Es gibt Menschen, mit denen ich bis heute nur telefonisch verkehren kann, niemals per Email, SMS oder WhatsApp. Damit es ja nichts schriftliches gibt, was irgend etwas beweisen können würde.

Da war Angst. Auf diesem Kunstrasen da, in diesem Vorort da.

Aber da sind wir ja weg. Und die Angst, die haben wir da gelassen. Natürlich darf Fußball auch mal anstrengend sein, darf nerven. Man darf das alles blöd finden, traurig sein. Aufgeregt sein. Aber in dem Alter darf es auch gerne noch Spass machen.

Und im Moment passt es zum Glück.

Und dann war die Angst auf einmal doch wieder da. Sie hatte in Viersen gelauert. Auf einem Turnier. Und ich musste sogar Eintritt dafür bezahlen. Die Angst nahm neben mir auf der Tribüne Platz und machte es sich bequem. Aber wir hatten ja auch schon die Nacht zuvor im Bettchen gekuschelt, also waren wir schon auf du und du.

Wir spielten bei diesem Turnier gegen Anderlecht und den HSV. Aber die kochen ja auch nur mit Wasser. Zumindest der HSV. Everton war da, Inter Mailand und Schalke und Dortmund. Aber das verursachte höchstens so eine Art nervöses Kribbeln, eine Aufgeregtheit. Mal gegen solche Mannschaften zu spielen.

Es war aber unser allererstes Spiel an diesem Tag, was mich meinen Nachtschlaf und den Rest meiner sowie kaum nennenswerten Ruhe bei Fußballspiele brachte.

Es war das erste Spiel gegen den alten Verein. Nach 14 Monaten. Das erste mal wieder auf die alten Eltern treffen, den Arschlochtrainer und die Kids, die ich zwei Jahre als Betreuer betreut hatte.

Und ich hatte Angst. Angst wie ein kleines Kind, dass alleine im dunklen Wald aufwacht. Ich hatte motherfucking Angst…

Und dann war es vorbei. Wir spielten schlecht. Wir spielten richtig schlecht. Und haben 1:3 verloren.

Es hätte auch ganz anders laufen können. Das Potential für die grossen, hollywoodreifen Emotionen war durchaus vorhanden. Das erste Wiedersehen. Der Sohn sogar noch als Kapitän. Schiesst in der letzten Sekunde das entscheidende Tor. Aber, nee…

Wir waren schlecht.

Aber die Angst war weg.

Die alten Eltern waren freundlich, die alten Kids abgeklatscht. Sogar den Arschlochtrainer begrüsst. Gut, er wollte sich wortlos an mir vorbeischleichen, aber ich habe ihm dann einfach mal die Hand hingehalten und nach dem Weg zum nächsten FKK-Bad gefragt. Es war sehr heiss an dem Tag…

Aber die Angst war weg. Einen Pflock durchs Herz gerammt, den Kopf abgetrennt, verbrannt und die Asche in Salzwasser versenkt.

Das ich mich ab sofort freuen würde, auf die alte Mannschaft zu treffen, so weit würde ich nicht gehen. Aber es ist mir höchstens noch leicht bis mittel unangenehm.

Und damit könnte jetzt hier gut gerne Schluss sein. Aber dann geschah noch etwas, was den Tag für mich für immer legendär machen wird.

Wir waren also, wie bereits erwähnt, schlecht. Oder sagen wir: unerfahren. Drei Spiele durch einen Gegentreffer in den letzten 30 Sekunden aus der Hand gegeben. Aber so ist das halt als Dorfverein, der seine ersten Schritte auf internationalem Parkett macht. Auch nicht anders, als wenn Giraffen in Südafrika auf einem LKW mitfahren.

Am Ende war für uns nur ein fünfter Platz in der Gruppenphase drin und somit der Weg in die Finalrunde versperrt. Aber als bester Fünfter gab es immerhin noch ein Platzierungsspiel um Platz irgendwasundzwanzig gegen den KFC Uerdingen.

Und wie wir so Aufstellung nehmen, auf dem Platz, sehe ich aus den Augenwinkeln die Kids der alten Mannschaft auf der Tribüne sitzen. Die waren nämlich im Gegensatz zu uns in die Finalrunde gekommen und hatten jetzt einige Minuten Pause.

Dann pfeift der Schiri an und irgendwie denke ich, ich höre nicht richtig. Irgendwer ruft den Namen vom Sohn. Irgendwer und noch irgendwer. Und dann noch irgendwer. Und dann drehe ich mich um und sehe unsere komplette alte Mannschaft, wie sie den Sohn und sein neues Team anfeuern und immer wieder seinen Vor- und Nachnamen skandieren. 10 Minuten lang. Wie sie mit uns jubeln und sich über unsere Tore freuen.

Was für ein Gänsehautmoment.

Sogar jetzt noch.

Und auch ein Zeichen dafür, dass an all dem Stress, an all diesem Scheiss, den man so an Fussballplätzen erlebt, doch meistens die Erwachsenen Schuld sind.

(Als Strafe dafür, dass der Grotifant nicht dabei war, haben wir Uerdingen natürlich besiegt. Ehrensache.)