Es begab sich aber zu jener Zeit, also kurz vor Weihnachten, dass es in mir vibrierte. Oder besser gesagt an mir. Denn Dennis rief an. Nur kannte ich Dennis gar nicht. Muss man vielleicht dazu sagen. Ich war irgendwo auf dem Real Parkplatz, kurz nachdem ich ein TSG Hoffenheim Trikot beflocken hatte lassen (Aber das soll eine andere Geschichte sein), als mich besagter Anruf erreichte.
Am anderen Ende ein junger Mann, der sich mit den Worten “Hallo, ich bin der Dennis” vorstellt.
Ach, der Dennis… was denn für ein Dennis..!?
Einfach nur Dennis. Der Nachname wäre zu kompliziert. Mein Einwand, dass ich ausser Einradfahren erst mal gar nichts kompliziert finde wird von einem vorbeifahrenden SUV geschluckt…
Er wäre der neue Trainer der U11 von Rot-Weiß Essen und er würde mich, oder viel lieber sogar noch den Sohn zum Sichtungstraining einladen. Er habe seinen Namen „auf dem Zettel”.
Die Tradition des Zettels. In Essen lebt sie dank Jens Lehmann und dem Dennis immer noch weiter…
Nun, Wünsche darf ja jeder erst mal gerne haben. Ich hake dann aber noch mal ein wenig nach, wo der gute Mann denn meine Nummer her habe, weil – der hat ja bestimmt nicht gerade das Telefonbuch aufgeschlagen und in der Rubrik “Bitte sprechen sie mit mir über Jugendfußballwahnsinn” meinen Namen gefunden.
Ach ja, klar. Ist ja ne berechtigte Frage. Er hat meinen Namen vom Ömer.
Vom Ömer.
Von wem auch sonst.
Der Ömer, dass muss man wissen, ist der Jugendfußballpate von Gelsenkirchen. Der große Strippenzieher. Warum bin ich nicht früher zu ihm gekommen…
Der Ömer begleitet mich, seit ich Fußballspielen lasse. Damals in Ückendorf, als wir kamen, war er schon da. Er ging mit uns nach Wattenscheid, zerstritt sich dort mit seinem eigenen Bruder, scheiterte bei dem Versuch unseren Trainer abzusägen, ging dann nach Schalke, aber irgendwie dann doch nicht und hat sich in den letzten Jahren in Wanne-Eickel ein eigenes Imperium aufgebaut. Wie die dicke Spinne in ihrem Netz. Dabei hat er doch so abgenommen.
Auf den Zettel wurde unsere Name also vom Ömer gekritzelt. Die Schatten der Vergangenheit.
Ich sagte dem Dennis: Ich werde mal drüber nachdenken und melde mich. In Wirklichkeit habe ich gar nicht drüber nachgedacht. Weil, was soll man schon von einem Trainer halten, der im ersten Telefonat mit dem Vaters eines Kindes, dass er noch nie gesehen hat und auf Empfehlung eines Typen, der dieses Kind auch schon zwei Jahre nicht mehr gesehen hat, rumtönt, er würde erst mal fünf Kinder rauswerfen. Was soll man von einem Trainer halten, der hinter dem Rücken eines Trainerkollegen Eltern direkt anruft.
…
Eben. Genau das.
Plus: wir möchten immer noch nicht mit Druck Fußball spielen. Unsere Mannschaft ist immer noch klasse. Es gibt also gar keinen Grund derzeit zu wechseln. (Ausserdem wusste ich ja, wer da noch alles so zur Sichtung geht. Und mit denen möchte ich gar nicht wieder in einer Mannschaft sein.)
Das habe ich dem Dennis dann mitgeteilt. Nicht das in Klammern, das davor.
Anschliessend habe ich unseren Trainer informiert, dass mich ein Herr von einem konkurrierenden Verein angerufen und zur Sichtung eingeladen hätte. Weil man das so macht, denke ich. Damit hätte die Geschichte dann eigentlich zu den Akten gelegt werden können und ich hätte mich weiter mit den Ankauf absonderlicher Trikots beschäftigen können (Anderlecht, Salzburg oder gar der #effzeh).
Aber jetzt nimmt die Geschichte erst so richtig Fahrt auf. Bis hierhin war nur Intro…
Das Sichtungstraining ist an einem Dienstag. Einen Tag zuvor haben wir ein Spiel gegen Rot-Weiß Essen – die Mannschaft, aus der 5 Spieler rausfliegen.
Einen Tag vor dem Sichtungstraining.
Dann bekomme ich eine WhatsApp von einem Bekannten. Einem Bekannten, der auch zum Sichtungstraining geht. Der Co-Trainer vom alten Verein. “Wann ist denn euer Spiel am Montag?” – “Warum willst du das wissen?” – “Weil ich da hingehen will”.
Nun könnte man meinen, der will da einfach nur mal gucken, will ja nach Rot-Weiß, will vielleicht mal schauen wie die so sind.
Aber: der macht nichts ohne Hintergedanken, hat überall seine Finger drin, vermittelt Kids in Vereine.
Da klingelt die erste Alarmglocke. Der will nach Rot-Weiß, das heisst der hat da schon seine Finger drin, will bei uns gucken, wen er dem neuen Trainer empfehlen kann um sich lieb Kind zu machen.
Er will nämlich auf jeden Fall vom alten Verein weg und MUSS bei dem Sichtungstraining Erfolg haben und will sich bei uns ein paar Antrittsgeschenke besorgen. Call it Paranoia. Aber der Jugendfußball hat mir jegliche Gutgläubigkeit ausgetrieben.
Dann kommt eine WhatsApp wie aus einem japanischen Horrorfilm. So zum Adern um das Blut rum gefrieren lassen.
“Wie heisst denn euer Torwart? Meine Quellen sagen, er wäre der beste in Essen.”
Und – richtig geraten: Rot-Weiß Essen sucht auch einen Torwart.
Und jetzt klingelt die Glocke mal so richtig Alarm. So wie in dem einen Depeche Mode Video.
Martin L. Gore. Im Muscle-Shirt. Wie er an dem Seil reisst…
People Are People.
Are Assholes.
Ich informiere unseren Trainer über meine Bedenken. Und jetzt läuft die Maschine heiss. Unser Spiel steht kurz vor der Absage. Diverse Leute telefonieren mit diversen anderen Leuten. Bis es die Zusage gibt, nein, das Spiel ist kein Vorspielen unserer Kids für RWE, keine Salatbar mit Alles Inklusive Tarif.
Wir spielen uns Spiel gegen RWE. Es geht 4:4 aus, wobei wir spielerisch klar besser sind. Dennis ist auch da. Am nächsten Tag meldet sich RWE, dass sie sich für drei Kinder von uns interessieren.
Soviel mal zu meinen prophetischen Fähigkeiten.
Sie interessieren sich auch für unseren Torwart. Das der vor drei Monaten schon mal bei ihnen zum Probetraining war, da aber von ihnen abgelehnt wurde… so viel mal zu den prophetischen Fähigkeiten der Leute bei RWE…
Aber irgendwie hat die Geschichte dann doch noch ein Happy End. Rot-Weiß Essen verfolgt nämlich, wie sich herausstellt ein ungleich weniger disruptives Modell, als viele der umliegenden Möchtegernvereine. Sie schauen sich an, ob die Trainingsbedingungen in den jeweiligen Vereinen stimmen, d.h. ob die Voraussetzungen gegeben sind, dass die für sie interessanten Jungs sich auch weiter gut entwickeln, und lassend die Kids vorerst in ihrer gewohnten Umgebung. In ihrem Team.
Einzige Bedingung: sie sollen bloss nicht nach Duisburg, Oberhausen oder Wattenscheid gehen. Schalke wäre aber okay.
Und hier könnte die Geschichte dann wirklich zu Ende sein.
Aber zwei Tage später bekomme ich eine WhatsApp vom Ömer. Er hätte mir doch nur einen Gefallen tun wollen und warum ich denn gesagt hätte, dass ich bedrängt worden wären.
Mit den Worten meiner unglaublich weisen Frau schrieb ich dann: „Lieber Ömer. Vielen Dank, dass du an uns gedacht hast, aber wir kommen ganz gut alleine klar. Und von Trainern, die hinter dem Rücken ihrer Kollegen Spielern nachstellen halte ich nicht all zu viel. Damit habe ich in den letzten Jahren schon zu viele schlechte Erfahrungen gemacht.”
Dennis hat vom Verein einen Einlauf bekommen und sich dann in Ömers kuscheliger Bauchfalte ausgeheult.
Und das macht ihn dann doch auch irgendwie wieder menschlich…